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Friederike Krahl

ensuite–kulturmagazin Zürich, Februar 2010
Figurentheater!
Puppenspiel lernen
Von Friederike Krahl

Friederike Krahl ist Puppenspielerin, Schauspielerin, Regisseurin und Autorin. Die Stücke, welche sie in verschiedenen Formationen (u.a. Theater Handgemenge, KASOKA) mit anderen Künstlern zusammen entwickelt, spielt sie auch an zahlreichen internationalen Festivals. Sie lebt in Berlin und arbeitet u.a. auch als Gastdozentin für den Nachdiplomkurs Figurenspiel (CAS) an der Hochschule für Musik und Theater in Zürich. Auf Grund ihrer zahlreichen Erfahrungen hat sie einen Text darüber verfasst, was sie an Puppenspiel fasziniert und wie es funktioniert. Sie beschreibt aber auch wie es sich an Studierende vermitteln lässt und was bei einer Ausbildung zur Puppenspielerin wichtig ist.

Warum bin ich Puppenspielerin? Ich kann mir vorstellen, das was ist, wo nichts ist. Nichts, außer einem Stöckchen, einem Alltagsgegenstand, einer Puppe aus Holz, Latex oder Stoff. Für mich ist die Materie lebendig, beseelt. Je größer der Spielraum meiner eigenen Phantasie, umso reizvoller. Wolken am Himmel zu Figuren zu machen ist auch eine Vorform von Puppenspiel. Oder Gesichter in Felsen zu sehen. Fels und Wolke sind zu groß, um mit ihnen zu spielen (...) Puppenspieler suchen sich andere Geister, die sie mit ihren Händen bewegen können. Aber der Vorgang ist derselbe: Ich sehe was, was du nicht siehst, Zuschauer. Damit du aber sehen kannst, was ich sehe, muss ich einen langen Weg gehen. Nachher spielt sich das „Eigentliche“ im Bruchteil von Sekunden ab.

Zuerst nehme ich deine Position ein: Ich werde zum Beobachter. Ich beobachte mein Material (...) Vielleicht muss ich das Material erst einmal suchen, entdecken, sammeln, kombinieren, zusammenbauen, gestalten, erfinden. (... ) Eine schöpferische Arbeit, mit Imagination und Vision verbunden. Mit Theater hat das noch nichts zu tun. Theater wird es, wenn ich die Form, die das Material vor mir angenommen hat, als „Seelengefäß“ nehme. (...) Ich erschaffe mir ein Gegenüber. Ich fange an, mit ihm zu kommunizieren. Ich will wissen, was es ist, wie es ist. Ich probiere es aus. Ich teste es, ich spiele damit herum, ich bin neugierig auf seine Möglichkeiten. Dieser Vorgang ist geradezu intim, auch wenn er in der Öffentlichkeit stattfindet. (...) Das Gegenüber wird lebendiger. Es bekommt eine Geschichte. Einen Namen. Einen Platz, wo es hingehört. Eine Sehnsucht, ein Schicksal. Dies alles bleibt rein fiktiv, aber es wird Realität. Der Puppenspieler überträgt seine Fiktion auf den Zuschauer: – Ich sehe was, was du nicht siehst (...) Nichts ist flüchtiger als der Augenblick und Theater lebt von diesen Augenblicken. Wie lernt man, das Flüchtige festzuhalten, den Augenblick immer wieder herbeizurufen, ihn so zu erschaffen, wie es die eigenen Vorstellung will? Wie schafft man es, nicht daran zu verzweifeln, das er mal ganz nah ist und dann wieder unerreichbar? Lernen ist Wiederholen, etwas immer und immer wieder tun, und dabei beobachten: Was passiert, wenn ich dies und das tue, wenn ich es anders tue, wenn ich es immer und immer tue, wenn ich es nicht tue. Was man dabei gewinnt, ist Erfahrung. Ist noch nicht Wissen. Wissen hat mit Bewusstsein zu tun: Das, was ich erfahren habe, wird mir bewusst. Ich kann es aussprechen, aufschreiben, anderen weitergeben. Ich kann es in meine Arbeit einfließen lassen und mich in einen neuen Prozess begeben. Wissen allein aber nützt nichts, wenn es nicht auf ein Medium übertragen wird. Das Medium des Puppenspielers ist die Puppe. (...) Er sieht nicht das Objekt, er sieht das Subjekt. Er behandelt es als solches und es wird durch ihn lebendig. Es atmet, es bewegt sich, es hat Sinne, es hat Gefühle, es hat Bewusstsein, einen Verstand. Es hat Charakter. Es reagiert menschlich. Es kommuniziert mit anderen Subjekten. Es wird zum Darsteller auf einer Bühne. Es kann eine griechische Tragödie spielen und Kaspertheater oder beides. Es kann sterben und zwar glaubhafter als ein Mensch auf der Bühne. Denn die Puppe verliert ihr Leben wirklich, wenn man den Vorgang umkehrt: Vom Subjekt zum Material. Die Seele fährt aus dem Puppenkörper. So geht es uns Menschen, wenn wir sterben. Vielleicht liegt deshalb etwas so Tröstliches darin, „toter“ Materie Leben einzuhauchen: Wir fühlen uns selbst dadurch lebendiger. Wir glauben uns selbst besser, dass wir leben.
(gekürzt, F.K.)

 


Ein unvollständiges Statement
Von Friederike Krahl

„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, Kunst macht sichtbar.“ Paul Klee

Beseelte Materie erschafft eine eigene Realität. In dieser halte ich mich mit Vorliebe auf. Die Herstellung solch einer Realität erfordert visionäres Denken, Begeisterung und Hingabe und einige wirkungsvollen Methoden, die man erlernen kann.

Dinge haben ein eigenes Leben. Sie brauchen den Spieler, der ihnen ihr Geheimnis entlockt. Ich begebe mich auf ihre Frequenz, empfange und sende. Im Objekt-Theater werde ich zum Medium der Dinge.

Ich bin Bildnerin. Ich forme Raum, Material, Darsteller, Licht, Ton, Sprache zu einem Gesamtkunstwerk. Es reizt mich, die Gesetze, Möglichkeiten, Eigenschaften, Grenzen, Geheimnisse eines Materials zu erforschen und Beobachter dieser Forschung zu sein.

Je unfertiger der Raum, das Ding und meine Absicht, als Spieler um so größer die Freiheit. Eine gute Probe ist ein Tanz, der eine Vielzahl von Bildern erzeugt. Hier beginnt das Gestalten. Durch Reduktion, durch Austausch, durch Zerstören, durch Neuordnen, durch Komposition, durch eine Handlung, die zum nächsten Bild führt. Ich bevorzuge Leichtigkeit, Weite und die Reduktion auf das Wesentliche. Der leere Raum ist das Paradies, in dem Gott seinen ersten Strich zeichnete.

Ich mache Theater. Das heißt, ein Netzwerk von Kommunikation zu stricken, Menschen, Orte, Mittel aufzutreiben und miteinander in Kontakt zu bringen, einen Produktionsablauf zu planen, zu strukturieren und ihn flexibel handzuhaben, zu organisieren, überraschende Lösungen für ein unlösbares Problem zu finden, den Überblick zu behalten, nie den Mut zu verlieren, Zuversicht auszustrahlen, 24 Stunden am Tag kreativ zu sein, Nerven wie Stricke zu haben, arbeiten bis zum Umfallen und nicht müde sein, weil diese eine Idee, die muß noch ausprobiert werden … Und an den einen Moment zu glauben, in dem alle Kräfte konzentriert zusammenspielen und etwas nie Dagewesenes schaffen. Dies ist ein Talent, das gelebt werden will. Dem Wahnsinn ins Auge sehen und hinein!